Der Brunnen am Schloss

Gutenachtgeschichte von Volker Friebel

 

Leg dich bequem hin … Räkel dich, bis du gut liegst … Wann immer du möchtest, schließ deine Augen …

Wenn du spürst, wie du die Unterlage berührst, kannst du beginnen, ruhiger zu werden …

Vielleicht spürst du auch deinen Atem gehen, ein und aus, ein und aus, ganz ruhig und gleichmäßig, ganz von allein … Vielleicht spürst du, dass es ganz einfach sein kann, auszuatmen und beim Ausatmen die Luft loszulassen, dass sie leicht im Raum verschwindet …

 

Stell dir in Gedanken eine breite Treppe vor, die vor dir beginnt und immer tiefer führt, durch eine schöne Landschaft … Geh langsam die Treppe hinab, Stufe um Stufe … Mit jeder Stufe kann die Ruhe in dir größer werden, je tiefer du steigst, Stufe um Stufe …

Mit jeder Stufe spürst du, wie du einfach nur noch lauschen möchtest, der Stimme folgen, Stufe um Stufe … dorthin hinab, wo die Ruhe immer noch größer wird …

Stufe um Stufe hinab … der Ruhe zu, die immer noch größer wird … Wo du einfach nur lauschen willst …

Die Stufen enden auf einer Wiese am Grunde der Welt … Um die Mauern des Schlosses hinter der Wiese ziehen Wolken …

 

Du trittst an den Brunnen in der Wiese. Aus seinen Schalen strömt überfließend das Wasser des Lebens – und mit dem Wasser bunte Murmeln aus Glas … Sie versinken im Brunnen …

Am Brunnen steht eine Frau mit langem schwarzem Haar und lächelt dich an – Königin Kunigunde vom Wolkenschloss.

„Das sind Traummurmeln“, sagt sie. Die helfen den Menschen, besser zu schlafen. Wenn die Menschen sie finden. Von hier strömen die Traummurmeln überall hin in die Welt.“

Du versuchst, eine Murmel zu fangen. Aber alle flutschen dir zwischen den Fingern davon. „Das geht nicht, Königin“, sagst du verlegen.

„Finden musst du sie, finden“, lächelt die Königin. „Und nenn mich einfach Kunigunde.“

„Wo kann ich eine Murmel finden?“, fragst du.

„Im Garten – und überall in der Welt“, sagt Kunigunde. Sie lächelt dir noch einmal zu. „Das ist Mieze“, sagt sie und nickt hin zur Katze. Dann geht sie zum Schloss. Ihre Katze bleibt zurück. Sie legt sich an den Brunnen und schließt ihre Augen.

Du gehst schnell durch den Garten und versuchst, Murmeln zu finden. An einem Teich kommst du vorbei, an wilden Blumen, durch ein Wäldchen geht es, eine Brücke über den Bach. Atemlos kommst du wieder am Brunnen an. Murmel hast du keine gefunden. Kunigunde bleibt verschwunden.

Da öffnet Mieze die Augen und schaut dich an. Ihre Augen sind groß, scheinen immer größer zu werden.

„Du findest deine Murmel überall dort, wo du dich einlässt“, schnurrt sie.

„Was meinst du damit?“, fragst du.

„Du wirst schon sehen“, schnurrt Mieze. „Versuch es einfach – und sei dabei langsam.“

Noch einmal gehst du in den Garten, ganz langsam. Was Mieze wohl meint?

Da sind die langen Halme des Grases. Ihre leichte Bewegung im kaum wahrnehmbaren Wind …

Da sind die Blumen zwischen den Gräsern … Ihre Formen und Farben … Eine Biene summt, lässt sich auf einer Blume nieder … Ein Schmetterling fliegt vorbei, verschwindet in der Weite des Himmels …

Am Himmel ziehen weiße Wolken. Du siehst ihnen zu, siehst die Langsamkeit in ihrer Bewegung. ‚Doch nichts auf der Welt kann sie aufhalten‘, denkst du.

Du merkst, wie du im Schauen langsam geworden bist und ruhig. „Das also hat Mieze mit ‚sich einlassen‘ gemeint“, sagst du laut.

Ob dich die Vögel hören? Sie singen schön, so schön wie zuvor.

Im Gras liegt eine Traummurmel. Du nimmst sie auf und kehrst zum Brunnen zurück.

Als du die Augen schließt, bist du zu Hause.

Dein weiches Bett … Wie gut es sich liegt! … Wie wohl du dich in ihm fühlen kannst! …

 

Da liegst du – ganz ruhig. Kannst du die Ruhe in dir spüren? Die Ruhe ist überall in dir … Kannst du spüren, wie schwer du bist? Dein ganzer Körper ist schwer, angenehm schwer … Kannst du spüren, wie warm du bist? Die Wärme strömt durch deinen ganzen Körper. Du bist warm, angenehm warm … Dein Atem geht ein und aus, ein und aus, ganz ruhig und gleichmäßig, ganz von allein … Du bist ruhig, schwer und warm – ruhig, schwer und warm … Die Ruhe trägt dich in die Nacht, hinein in den Schlaf, in freundliche Träume …

 

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Diese Gutenachtgeschichte stammt aus dem Buch: Volker Friebel (2019): Gutenachtgeschichten vom Wolkenschloss. Entspannungsgeschichten für Kinder. Edition Blaue Felder, Tübingen.

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