Die Wolkentreppe

Gutenachtgeschichte von Volker Friebel

 

Stell dir in Gedanken eine breite Treppe vor, die vor dir beginnt und immer tiefer führt, durch eine schöne Landschaft … Geh langsam die Treppe hinab, Stufe um Stufe … Mit jeder Stufe kann die Ruhe in dir größer werden, Stufe um Stufe … Dein Atem geht, Stufe um Stufe hinab … Du spürst vielleicht, wie dein Atem schon ruhiger und ruhiger wird … Du spürst vielleicht schon die Ruhe in dir … Die Stufen enden im Garten am Wolkenschloss …

 

Kunigunde steht am Brunnen. Als du zu ihr trittst, lächelt sie und fragt: „Möchtest du einmal in das Wolkenschloss?“

„Gerne!“, sagst du überrascht und wendest dich dem Schloss hinter dem Brunnen zu.

Kunigunde geht aber in die andere Richtung, weiter hinein in den Garten. Zögernd folgst du ihr.

Auf einer Wiese beginnt eine Treppe aus Wolken. Kunigunde steigt leicht die erste Stufe hinauf und wendet sich zu dir um: „Komm, wir steigen gemeinsam!“, sagt sie.

Nebeneinander, Hand in Hand, steigt ihr nun Stufe um Stufe der Treppe hinauf. Bald seid ihr über den Kronen der Bäume. Höher und höher geht es, in den Himmel hinein. Du spürst um dich den leichten Wind und spürst ein Gefühl der Freiheit und Sicherheit, spürst einen Jubel, der tief in dir beginnt und bis in den Himmel hinein geht …

Stufe um Stufe steigt ihr hinauf, sicher und frei, bis das Land klein unter euch liegt und um euch weiße Wolken ziehen. Der eine hohe Klang, den du hörst, muss vom Himmel sein. Und da sind auch dunklere Klänge darunter, das sind die weißen Bäuche der Wolken …

Dann ist die Wolkentreppe zu Ende. Ihr setzt den Fuß auf die oberste Wolke – und auf der steht das Wolkenschloss. Hier und da scheint es anders – und ist doch dasselbe Schloss, das du kennst.

„Wie kann es sein, dass das Schloss oben und unten ist?“, fragst du erregt.

„Es kann nicht sein – aber es ist“, sagt Kunigunde und lacht. Ihr geht durch das hohe Tor.

Kunigunde zeigt dir den Thronsaal und den Thron, auf dem sie manchmal sitzt, neben dem Thron des Königs Ferdinand, ihres Gemahls. Sie stellt dir ihre Nichte Esmeralda vor, die gerade beim Hoflehrer Zeichenunterricht nimmt. Sie zeigt dir die Küche und den riesigen Speisesaal. Sie zeigt dir den Ballsaal und den Turm mit der Bibliothek.

Das Schloss hat viele Zimmer, an den meisten geht ihr vorbei. „Vielleicht ein anderes Mal“, sagt Kunigunde. „Nur eines noch will ich dir zeigen.“

Ihr geht in den Rosengarten. So viele Rosen hast du noch nie gesehen, und noch nie so viele Farben und Formen. Sogar ein paar schwarze siehst du. Der Duft im Garten berauscht.

„Doch alle Rosen tragen Dornen“, sagt Kunigunde.

„Nur ihre Stiele“, sagst du.

Kunigunde lacht und führt dich zum Brunnen.

Er sieht ganz ähnlich aus wie der Brunnen unten auf der Erde, den du schon kennst.

„Hier entstehen die Traummurmeln. Hier bilden sie sich aus den Träumen der Menschen, werden hier fest und kommen dann unten auf der Erde wieder zu Tage“, sagt Kunigunde.

Du siehst zu, wie sich im Wasser einige Murmeln bilden. Kunigunde greift zu und holt eine heraus.

Auf Kunigundes Hand wirbeln die Farben der Murmeln wirr durcheinander, verschmelzen sich, klären sich, werden schließlich zum milchigen Weiß, das du kennst.

„Das Schloss unten ist bunt, das Schloss oben ist auch bunt, aber anders“, entfährt es dir. ‚Aber die Haare Kunigundes‘, durchfährt es dich wie ein Schlag, ‚die Farben ihres Haares sind nun blond, nicht mehr schwarz!‘

„Ja“, sagt Kunigunde. „Die Farben, die kommen von den Träumen der Menschen. „Hier klären sie sich, für einen neuen Traum.“

Sie legt dir die Traummurmel in deine Hand. Du nimmst sie und spürst ihre Rundheit.

Als du die Augen schließt, bist du zu Hause.

Dein weiches Bett … Wie gut es sich liegt! … Wie wohl du dich in ihm fühlen kannst! …

 

Da liegst du – ganz ruhig. Kannst du die Ruhe in dir spüren? Die Ruhe ist überall in dir … Kannst du spüren, wie schwer du bist? Dein ganzer Körper ist schwer, angenehm schwer … Kannst du spüren, wie warm du bist? Die Wärme strömt durch deinen ganzen Körper. Du bist warm, angenehm warm … Dein Atem geht ein und aus, ein und aus, ganz ruhig und gleichmäßig, ganz von allein … Du bist ruhig, schwer und warm – ruhig, schwer und warm … Die Ruhe trägt dich in die Nacht, hinein in den Schlaf, in freundliche Träume …

 

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Diese Gutenachtgeschichte stammt aus dem Buch: Volker Friebel (2019): Gutenachtgeschichten vom Wolkenschloss. Entspannungsgeschichten für Kinder. Edition Blaue Felder, Tübingen.

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