Das blaue Buch

Entspannungsgeschichte von Volker Friebel

 

Stell dir vor, du steigst auf der Wolkentreppe langsam zum Wolkenschloss hinauf, Stufe um Stufe. Stell dir vor, wie du mit jeder Stufe ruhiger und freudiger wirst. Schließlich trittst du von der letzten Wolke in den Hof des Schlosses.

 

Mieze erwartet dich schon. Ihr tretet in einen Turm und steigt noch höher, eine gläserne Treppe hinauf. Dieser ganze Turm des Wolkenschlosses steht voll Bücher. Auch auf den Bildschirmen, die es an Stelle der Fenster gibt, siehst du Buchseiten.

Einige Bewohner des Wolkenschlosses suchen in den Regalen nach Büchern. Andere sitzen und lesen. Auch der Drache Fridolin ist dabei. Er sitzt gleich auf zwei Stühlen.

„Willkommen, ich bin Fiona, die Bibliothekarin im Elfenbeinturm“, begrüßt euch eine Frau. Sie schließt ihren Bildschirm und steht auf. „Danke, Mieze, dass du auf mein Schreiben so schnell kommst“, wendet sie sich an deine Begleiterin.

„Worum geht es denn?“, fragt Mieze.

„Ich suche ein Buch“, sagt Fiona.

„Du hast schon genug“, schnurrt Mieze und blinzelt zu den Regalen ringsum.

„Dieses Buch habe ich nicht“, sagt die Bibliothekarin. „Es soll nur noch ein einziges Exemplar geben, und das befindet sich in einem Haus, das heute abgerissen wird. Wir müssen gleich los!“ Die Bibliothekarin schnappt sich ihre Handtasche vom Schreibtisch.

Ihr steigt die Wolkenstufen hinab in ein Traumland, Stufe um Stufe, an langsam treibenden Wolken vorbei. Den letzten Schritt setzt ihr auf die Straße einer kleinen Stadt.

Ein Bagger steht vor dem Haus. Gerade ist das Führerhaus leer, die Abbrucharbeiter machen Pause. Zwei Menschen tragen den letzten Sessel vom Haus in einen Laster und fahren davon.

„Kommt“, sagt Fiona, „hier soll das Buch sein!“

Die Tür steht offen. Ihr geht in das leergeräumte Haus. Ganz leergeräumt ist es nicht. Was sie brauchen konnten, haben die Bewohner beim Umzug mitgenommen. Was sie nicht mehr wollten, liegt verstreut auf dem Boden.

„Die schönen Sachen!“, sagst du, als du eine Spielesammlung entdeckst.

„Die alten Leute ziehen aus ihrem großen Haus in eine kleine Wohnung“, sagt Fiona, „da können sie nicht alles mitnehmen. Mir haben sie das Buch versprochen, nach dem ich schon lange suche. Aber wo ist es?“

Ihr wandert jeder für sich durch das Haus. Ein bisschen unheimlich ist dir schon. Du achtest auf deinen Atem, wie er einströmt und ausströmt, ein und aus, ganz ruhig und gleichmäßig, ganz von allein. ,Mit Mut geht’s gut‘, sagst du tief in dich hinein.

Plötzlich gibt es einen Knall. „Kuckuck, Kuckuck“, hörst du rufen. Und wer da schimpft, ist das nicht Mieze? „Alles in Ordnung – ich bin nur über diese komische Uhr gestolpert“, faucht sie dann.

Da siehst du ein Bücherregal. Die meisten Bücher sind ausgeräumt, aber einige stehen noch auf den Brettern. „Ein blauer Einband mit silbernen Buchstaben“, murmelst du vor dich hin. So hat Fiona das Buch beschrieben. Du gehst die Reihen durch, kannst aber nichts finden.

„Schau – langsam und genau“, murmelst du tief in dich hinein und versuchst es noch einmal. Und da ist das Buch! Du ziehst es aus dem Regal und eilst zu den anderen.

„Wunderbar!“, freut sich Fiona. Sie blättert einige Seiten auf. Sie schnuppert am Buch. Sie strahlt.

„Dafür lese ich dir jedes Mal, wenn du ins Wolkenschloss kommst, eine Geschichte vor“, verspricht sie.

Eigentlich bist du lieber mit Mieze unterwegs. Aber wer weiß? Ihr geht zu den Wolkentreppen zurück. Stufe um Stufe steigt ihr empor. Mit jeder Stufe merkst du, wie du ruhiger wirst.

Im Wolkenschloss legst du dich mit Mieze auf das große blaue Sofa und schließt die Augen.

Da liegst du – ganz ruhig. Kannst du die Ruhe in dir spüren? Die Ruhe ist überall in dir. – Kannst du spüren, wie schwer du bist? Dein ganzer Körper ist schwer, angenehm schwer. – Kannst du spüren, wie warm du bist? Die Wärme strömt durch deinen ganzen Körper. Du bist warm, angenehm warm. – Dein Atem geht ein und aus, ein und aus, ganz ruhig und gleichmäßig, ganz von allein. – Du bist ruhig, schwer und warm – ruhig, schwer und warm. – So liegst du ein Weilchen und ruhst dich aus. Du ruhst dich aus und spürst die neue Kraft tief in dir wachsen.

Damit kommt die Geschichte langsam zum Ende. Wenn du bereit bist, reckst und streckst du dich und öffnest die Augen.

 

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Das war aus: Volker Friebel (2019): Entspannungsgeschichten vom Wolkenschloss. Edition Blaue Felder, Tübingen. Mit Illustrationen. PapierBuch und eBuch. (Erhältlich im Buchhandel und bei den Versanden.)

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