Kleines Hexeneinmaleins

Geschichte für Kinder von Volker Friebel

 

Noch gestern hatte Ohme Knorrinas ihr 150-jähriges Jubiläum als Lehrerin an der Hexenschule gefeiert. Jetzt saß sie wieder auf ihrem Baumstumpf vor der Klasse und seufzte. „Also nochmal, Schummelfix“, sagte sie dann: „Wie viel ist eins und eins?“

„Äh“, murmelte Schummelfix und starrte ratlos auf die Tafel. „Also neulich, neulich wusste ich es noch.“

„Um es leichter zu machen: Nimm an, du hast schon einen Apfel und bekommst von Fizzewind noch einen Apfel dazu. Wie viele Äpfel hast du dann?“, half die Lehrerin.

„Also, ich glaube nicht, dass Fizzewind mir einen Apfel schenken würde, wenn ich schon einen hätte“, meinte Schummelfix. „Fizzewind würde seinen Apfel dann sicher selbst essen. Ich hätte also nur einen.“

„He“, protestierte Fizzewind, der Nebensitzer von Schummelfix, beleidigt.

„Nimm es einfach mal an“, sagte Ohme Knorrinas ungeduldig.

„Also, wenn ich schon einen Apfel hätte und Fizzewind würde mir tatsächlich noch einen dazugeben“, begann Schummelfix, „dann … dann … dann hätte ich immer noch nur einen Apfel. Denn ein Apfel, den Fizzewind mir schenkt, der ist sicher nichts wert, den kann man nicht zählen. Vielleicht hat er Würmer. Oder er ist faul.“

„Du sollst zählen und nicht fantasieren, ob die Äpfel gut oder schlecht sind“, kreischte Ohme Knorrinas, „das ist doch ganz gleich!“

„Also mir ist es gar nicht gleich, ob ich einen faulen oder einen guten Apfel esse“, meinte Schummelfix. „Aber ich kann dir gern morgen ein paar faule Äpfel mitbringen, wenn du sie mir gegen gute eintauschst.“

Ohme Knorrinas seufzte tief und versuchte, die Klasse zu beruhigen. „Also anders herum“, sagte sie endlich. „Nimm einmal an, du willst zwei Äpfel haben, einen für dich und einen, um ihn deiner Mutter zu schenken. Einen Äpfel hast du schon. Wie viele Äpfel musst du noch im Laden kaufen, um zwei Äpfel zu haben?“

„Das ist leicht, das weiß ich“, sagte Schummelfix stolz.

„Also?“, drängte Ohme Knorrinas. „Wie viele Äpfel musst du noch kaufen?“

„Gar keinen“, sagte Schummelfix. „Denn der gute Hubertus vom Fliegenpilzladen würde mir einen schenken. Und wenn nicht, dann kann ich mir mit dem Zauberspruch, den wir gestern gelernt haben, den Apfel einfach verdoppeln.“

Ohme Knorrinas schlug die Hände vors Gesicht und murmelte undeutlich etwas vor sich hin.

„Wenn du aber nicht hexen darfst, wie viele Äpfel musst du dann kaufen – oder meinetwegen, wie viele muss dir Hubertus dann schenken?“, versuchte sie es dann nochmal.

„Wenn ich nicht hexen darf“, sagte Schummelfix, „dann muss ich einen Apfel kaufen. Das wäre aber traurig, weil ich doch kein Geld habe.“

„Ja, traurig ist das, sehr traurig“, meinte Ohme Knorrinas und atmete tief durch. Sie sah sich um, wem sie die nächste Aufgabe stellen könnte. Aber da schlug der Specht die Schulglocke und alle rannten in die Pause.

 

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Diese Geschichte stammt aus: Volker Friebel (2013): Geschichten vom Zauberwald. Edition Blaue Felder, Tübingen.

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